• Aug
    04.

    Irland...gestern...heute...morgen! Teil 1 - Mit der Aerlingus nach Dublin............

    Während meine Nachbarin zur Linken noch über die Spezialitäten Irlands, den Süßwasserlachs, die Meeresfrüchte aus dem Atlantik und die hochwertigen Fleisch- und Käseprodukte, die nicht nur in Pubs oder Restaurants, sondern auch im hochherrschaftlichen Ambiente zahlreicher zu mietenden Burgen und Herrenhaüser Irlands angeboten werden ,schwärmt, beschreibt mein Nachbar zur Rechten seine Erlebnisse in der Natur. Fünfmal war er schon in Irland. Mal mit dem Hausboot auf dem Shannon unterwegs, mal mit der Angel als Hecht- und Weißfischangler an kleineren Seen, mal unterwegs in einem Pferdewohnwagen oder auf dem Fahrrad, zuletzt auf Schusters Rappen. Beim Wandern habe er ganz besonders die Schönheit und wechselnde Natur Irlands zu schätzen gelernt. Fasziniert aber schläfrig folge ich seinen Schilderungen von Naturwundern, über Fabelwesen und Weißdornbäume in denen Alcheringas (Feen) bei ihren Wanderungen ein Netz über die Wanderwege weben um sie vor Zerstörung zu schützen. In Irland soll es als Frevel gelten Pfade in der Nähe von Weißdornbäumen etwa durch Straßenbau zu zerstören. Er erzählt von Elfen, die in Steinritzen und Felsen oder auch unseren Tränen leben und dass die Bransshee (irische Feen) durch Heulen und Klopfen an Fensterscheiben den nahen Tod eines Menschen ankündigen. Unversehens bin ich in ein Traumland geglitten, aus dem ich unsanft von einer Stimme aus dem Lautsprecher geweckt werde, die mir die Ankunft in Dublin verkündet. Auf dem Flughafen von Dublin herrscht wie immer reger Betrieb.

    Während ich noch auf meinen Koffer warte entschließe ich mich meinen Irlandaufenthalt nicht in Dublin zu beginnen. Mich gelüstet nach Einsamkeit, Stille, Natur. Unversehens kommt mir meine Deutschlehrerin in den Sinn und damit Geschichten von einem Deutschen, der nach dem Krieg in Irland lebte und über die Insel Geschichten schrieb. Richtig, Heinrich Böll hieß der Schriftsteller und die Geschichten wurden zusammen gefaßt und als "Irisches Tagebuch" veröffentlicht.......

    Meine Deutschlehrerin wäre jetzt stolz auf mich. Ich entschließe mich auf jene Insel zu fahren, von der Böll so faszieniert war.........

    Achill Island........

    Die Fahrt mit dem Auto ist langwierig, die Landschaft abwechslungsreich . Die Besiedelung wird je weiter man nach Westen kommt immer dünner. Die Landschaft wechselt von üppig grün zu kargem Gestein und wird felsiger. Bäume und Teile von Steinmauern auf Wiesen mit gelbem Ginster, wildem Rhododendron und Grasbüscheln, Herrenhäuser, vereinzelte alte Scheunen oder Bauerngehöfte sowie verlassene Bauruinen säumen rechts und links meinen Weg.

    Gab es bis zur Gegend des Shannon (längster Fluß der Insel) noch überwiegend Kühe und Pferde zu sehen, so sind nun die Schafe in der Überzahl.

    Bald kann man erste Torfmoore sehen, Folgen der Eiszeit.

    Torf besteht zu 95% aus Wasser. Nach dem Abstechen und Austrocknen wurde früher damit ausschließlich geheizt. Butter wurde früher in Torf eingelagert, denn die konservierende Säure des Torfmoores bewirkte, dass sie länger frisch blieb.

    Die Säure des Torfmoores erhielt aber auch den darin Umgekommenen die Körperform, was eine Ausstellung der Funde im Museum Dublin beweist. In Achill Island wird Torf auch heute noch ohne Maschinen von Hand gestochen, so wie es Böll schon in seinem Tagebuch beschrieben hat.

    Kurz vor Achill Island...........

    Im 16. Jahrhundert soll hier die Piratenkönigin Granuille (Grace O Malley) die Gewässer vor der Westküste Irlands beherrscht haben .

    Ich nähere mich jetzt Keel, dem Herzen von Achill Island. Im südwestlich der Insel gelegenen Keel verbrachte Heinrich Böll schon 1955 mit seiner Familie die Sommermonate. Müde und hungrig entschließe ich mich nach einer Unterkunft Ausschau zu halten. Da vor mir auf der Straße Mutter Schaf mit ihren Kleinen ruhig und majestätisch dahin schreitet und von rechts und links der Wiesen weitere Schaffamilien sich blökend zu einem offensichtlichen "Tagesneuigkeiten-Plausch" anschließen, habe ich Muße die Umgebung rechts und links genauer zu beobachten. Links begleitet mich der Strand von Keel,
    kann ich die Wellen des Atlantiks spüren....  

    Diese Ruhe, keine Hektik auf der Straße, unversehens fühle ich mich in ein anderes Zeitalter versetzt. Rechts fällt mein Blick auf vereinzelte Häuser und registriert ein Hotel ......... Achill Cliff House Hotel ...ich fühle mich angekommen.

    Im gemütlichen Eingangsbereich werde ich freundlich von der Gastgeberin Teresa Mc Namara willkommen geheißen. Mein geräumiges Zimmer verfügt über 1 Doppel- und 1 Einzelbett. Schreibtisch, Fernsehen und gemütliche Sitzecke runden das Bild ab. Herrlich, so viel Platz für mich allein. Im zum Zimmer gehörenden zweckmäßig eingerichtetem Bad mit Badewanne und WC spüle ich die Strapazen der Reise ab, bevor ich mich ins Restaurant begebe, wo schon ein liebevoll gedeckter Tisch auf mich wartet. Ich wende mich der Speisekarte mit fangfrischen Spezialitäten aus dem Atlantik (z.B. Hummer, Austern, wilder Lachs) zu. ährend ich mich noch zu entscheiden versuche geniesse ich die schöne Aussicht über den Strand von Keel und die Klippen von Minaun.

    Das Essen und der Wein munden köstlich und immer wieder schweift mein Blick zum Meer und es überkommt mich eine Ruhe und Ausgeglichenheit, gepaart mit einer wohltuenden Schläfrigkeit.

    Am nächsten Morgen wache ich, vom Blöken der Schafe geweckt, ausgeruht und frisch auf. Nach einem guten "Irischen Frühstück" beschließe ich die Gegend zu erkunden. Einige Minuten sind es zu den nächsten Häusern mit der Aufschrift "Post office", "Costcutters shop ". Auch das weiß gestrichene Haus mit der Aufschrift" Graceland" über der Tür, das von zwei Löwenfiguren rechts und links der Tür bewacht wird und sich durch Schriftzeichen und der Aufschrift als Chinesisches Restaurant ausweist, sieht sehr einladend aus.

    Neben dem Haus spelen Kinder zwischen zum Trocknen aufgehängter Wäsche Fußball .

    Ein Stück weiter finde ich ein altes Cottage, dass sich mit blauem Schriftzug als Health & Beauty Shop ausweist.

    Hier kann man neben Kinderspielzeug, Strandzubehör, Getränken, Süßigkeiten auch Batterien erwerben, die ich für den Fotoapperat dringend benötige. Die junge Irin, die bis dahin zeitungslesend auf einem Getränkekasten vor dem Haus saß, verwandelt sich nach meinem "Hallo" schnell in eine äußerst freundliche und aufgeschlossene Verkäuferin. Sie erzählte mir, dass hinter dem Haus ehemals Heinrich Böll mit seiner Familie im Keel House gelebt habe. Heute sei dies leider alles verfallen. Gegenüber auf der Baustelle habe ehemals der Pub Village Inn gestanden, in dem Böll gerne mit den Einheimischen bei einem Guinness diskutierte. Ich schlendere langsam zurück , entdecke unweit des Hotels den Pub Minaun View, weiter laufend erblicke ich ein flach gestrecktes Gebäude, in dem eine Galerie untergebracht ist. Das Schild "Open" veranlasst mich einzutreten. Überrascht bestaune ich die Vielfalt der ausgestellten Bilder und registriere erstaunt auch eine Auswahl ausgestellter Bilder von Rene Böll, dem Sohn des Schriftstellers Heinrich Böll. Freundlich erklärt mir der Galerist, dass in Achill Island schon viele Maler gelebt und gemalt hätten. So soll der irische Landschaftsmaler Paul Henry während seines 9jährigen Aufenthaltes (1910-1919) viele Bilder von Achill gemalt haben, z.b. zum Thema "Potatoe Diggers" (Kartoffelernte), oder Bootszenen am Strand. Der Amerikaner Robert Henry soll von 1924-1928 in den Sommerferien Portaits der Kinder von Achill gemalt haben. Auch die Künstler Percy French, Charles Lamb, Derek Hill sollen hier gelebt und gearbeitet haben. Die Künstlerin Camilla Souter soll auch heute noch auf der Insel leben und arbeiten. Beeindruckt verlasse ich die Galerie und wende mich, vorbei an Schafen, der Bucht, dem Strand von Keel zu.

    Die Bucht ist 50 m vom Hotel entfernt. Das Wetter ist angenehm warm, es geht eine sanfte Brise . Erstaunlich viele Sonnen- und Wasserwanderhungrige hat es an den Strand gezogen. Einige Surfer versuchen ihre Geschicklichkeit auf den Wellen des Atlantiks zu erproben.

    Wieder im Hotel angekommen beschließe ich einige Sehenswürdigkeiten von Achill Island mit dem Auto zu erkunden. Das Wetter hat sich zugezogen, es regnet leicht. Die Wirtin erklärt mir, das sei nichts besonderes und ändere sich schnell wieder. Einige Stunden später muß ich ihr Recht geben, denn es ist wieder trocken und klar. Ich stelle fest, dass Keel der ideale Ausgangspunkt ist, um alle Bereiche der Insel zu erkunden.

    Im Osten von Achill finde ich die alte Kirche von Kidavnet. Sie wurde nach einer Heiligen aus dem 7. Jahrhundert benannt. Auf dem Friedhof bei der Kirche sind Denkmäler zu finden, die an die größten Tragödien der Insel erinnern sollen. Beim See- unglück von Clew Bay 1894 ertranken 32 junge Kartoffelerntehelfer. Sie waren auf dem Weg nach Schottland zur Ernte und ertranken beim Übersetzen zum Schiff, im Hafen von Westport. Im schottischen Dorf Kirkontolloch kamen 10 junge Erntehelfer aus Achill Island bei einem Scheunenbrand 1937 ums Leben. Viele Opfer der Hungersnot (1845-1850) haben hier ebenfalls die letzte Ruhestätte gefunden.

    An der östlichen Seite des Strandes von Trawmore bei Dookinella findet man die Minaun Cliffs. Diese Klippen ragen vor Keel aus dem Atlantik. Sie sind das Panorama, das man vom Hotel aus bewundern kann.

    Auf der anderen Seite von Minaun, im Südosten findet man das Dorf Dooega. Hier führt auch der Atlantic- Drive her. Die Straße windet sich um die Atlantik - Klippen und führt von Dooega zurück nach Achill Sound. Läßt man die Dörfer Pollagh und Dooega hinter sich( westlich von Keel) findet man "Croaghaun Mountain". Auf der Nordseite des 668 m hohen Berges sind die höchsten Meeresklippen Europas. Der Karsee, Correymore Lake auf der Ostseite versorgt das Gebiet Achill mit Wasser. Westlich der Mountains liegt Keem Bay, eine wunderschöne halbrunde Bucht mit Blue Flag Strand und dann.....unendliches Meer.......

    Der nächste bewohnte Ort westlich von Keem Bay ist New York (USA).

    Bei einem frühen Abendessen im Hotel lerne ich den deutschen Botschafter von Irland Dr. Christian Paul und seine reizende Frau kennen. Dr. Paul lebt in Dublin und ist seit 2 Jahren als Botschafter in Irland. Herr Dr. Paul erklärt mir, er sei zur Verleihung des Preises der Ausschreibung "Heinrich Böll Memorial Essay" nach Keel gekommen. Die Veranstaltung, zu der auch Rene Böll, der Sohn des verstorbenen Schriftstellers komme, sei in der Cyril Gray Memorial Hall in Dugort. Hier sei auch eine Ausstellung von Photographien und Dokumenten der Familie Böll zu sehen. Das hört sich sehr interessant an und ich bemühe mich um eine Teilnahmemöglichkeit.

    Welch angenehme Erfahrung am Veranstaltungsort so viele Kulturinteressierte und irische "Böll-Fans" zu treffen. Die Ausstellung beeinhaltet nicht nur eine lebendige Erinnerung an das Wirken Heinrich Bölls auf Achill Island, nein auch der Lebenslauf und das (nicht immer leichte) Leben der Familie Böll in Deutschland wurde sachlich dargestellt.. ...................... Wie wohltuend zu unserer oft sensationslüsternden Berichterstattung. Der ganze Abend,-einschließlich der Preisverleihung an die 3 Preisträger-Schüler der Sekundärstufe- ist eine "herzliche" Hommage an Heinrich Böll, der durch sein "Irisches Tagebuch" den Tourismus nach Irland gebracht hat. Besonders beeindruckend ist, dass die Sympathien auf den anwesenden Sohn Rene Böll übertragen werden, der auch nach dem offiziellen Teil natürlich und herzlich mit den Anwesenden plaudert und auch meine Fragen geduldig beantwortet. Diese Hommage an Heinrich Böll ist allerdings nicht an diesem Abend beendet. Da es sich um den 50. Geburtstag des "Irischen Tagebuchs" handelt stehen auch die nächsten Tage, also ein ganzes Wochenende, im Zeichen des Schriftstellers. Es stehen geführte Wanderungen zu archäologischen Stätten, die Wanderung zum verlassenen Dorf oder zu den "megalithischen Gräbern auf dem Programm, zu denen alle Interessierten , Gäste, wie auch Einheimische eingeladen sind. Außerdem soll der Schriftsteller Hugo Hamilton am nächsten Abend sein irisches Tagebuch mit dem Titel "die redselige Insel" vorstellen.

    Wie erstaunt bin ich am anderen Tag morgens, trotz bedecktem Himmel und regnerischem Wetter , so viele kulturinteressierte Wanderfreunde aus Dugort und Umgebung am vereinbarten Treffpunkt anzutreffen, unter ihnen auch in wetterfester Kleidung Rene Böll und der Schriftsteller Hugo Hamilton. Vom Fußballplatz in Valley geht es unter der fachkundigen Führung von Sheila Mc Hugh und dem Archäologen Eoin Holpin zu den archäologischen Stätten bei Valley Sandybank.

    Fasziniert von der Landschaft und den anschaulichen Erklärungen Irischer Zeitgeschichte schließe ich mich den weiteren Ausflügen an und erfahre so interessantes über megalitische Gräber.

    Megalithgräber sind aus großen Steinblöcken errichtete Grabbauten aus einem weit zurückliegenden Zeitalter. In Irland geht man aufgrund der Funde auf das Neolithische- oder das frühe Bronze- Zeitalter zurück. Hauptformen der Grabbauten sind der Dolmen und das Ganggrab ( langer, abgedeckter steinerner Gang), die man hauptsächlich in Irland findet. In der Nähe des Dorfes Slievemore gibt es eine Anzahl von megalithischen Gräbern. Diese alten Grabkammern und die Geschichte der historischen Denkmäler haben in den letzten Jahren großes Interesse auch bei den Touristen geweckt.

    Deserted Village

    "Würde jemand das zu malen versuchen,dieses Gebein einer menschlichen Siedlung, in der vor hundert Jahren fünfhundert Menschen gewohnt haben mögen; lauter graue Drei- und Vierecke am grünlich grauen Berghang, würde er noch das Mädchen mit dem roten Pullover hinzunehmen,das gerade mit einer Kiepe voll Torf durch die Hauptstraßen geht; einen Tupfer Rot für ihren Pullover und einen dunklen Brauns für das Gesicht des Mädchens; und noch die weißen Schafe hinzu, die wie Läuse zwischen den Ruinen hocken-man würde ihn für einen ganz außerordentlich verrückten Abstrakten halten: so abstrakt ist also die Wirklichkeit"........

    liest Rene Böll zwischen den Ruinen des verlassenen Dorfes von Slievemore aus dem Irischen Tagebuch vor. Die Bewohner und auch Besucher von Achill Island umringen den Sohn des verstorbenen Schriftstellers und hören aufmerksam zu. Auch ich fühle mich in den Ruinen des verlassenen Dorfes in längst vergangene Zeiten zurückversetzt. Hier haben vor mehr als 150 Jahren noch Menschen gewohnt. Hier wurde gelacht , geweint, geboren, gestorben....Hier lebten Mensch und Tier, alt und jung eng beieinander. Noch heute kann man auf den von Gras überwucherten Feldern die Kartoffelreihen erahnen. Die Bewohner lebten von der Kartoffelernte und Kohl . Als die Trockenfäule das Kartoffelgetreide vernichtete und Kartoffel- Mißernten die große Hungersnot (1845-1850) auslöste starben die Bewohner . Viele waren auch schon vorher ausgewandert oder hatten sich in Dooagh neu angesiedelt.

    Abschied von Achill Island

    Nach einem gemeisamen Mittagessen in Dugort in Gray`s Guest House und einem kurzen Besuch des Böll Cottage, das seit 1992 als Gästehaus für internationale Künstler genutzt wird, nehme ich Abschied von der Insel und von den herzlichen und kulturell aufgeschlossenen Bewohnern. Bei so viel spontan entgegengebrachter Herzlichkeit fällt es mir schwer " Good bye" zu sagen und so verabschiede ich mich mit dem Versprechen " Bis bald"; denn diese Insel mit seinen freundlichen Bewohnern und ihren Geschichten sind mir einen weiteren Besuch wert.